Melatonin – Mehr als nur ein Schlafhormon

Melatonin ist ein natürliches körpereigenes Hormon, das der Körper selbst herstellt und für den Schlaf eine wichtige Rolle spielt. Es wird größtenteils aus der Aminosäure Tryptophan in der Zirbeldrüse und in den Darm ansässigen enterochromaffinen Zellen gebildet. Die Produktion und Freisetzung von Melatonin im Gehirn ist dabei stark von der Tageszeit abhängig. Ähnlich wie Serotonin übt Melatonin einen Einfluss auf den zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus aus.

Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hat für Melatonin zwei Health Claims zugelassen: Melatonin trägt dazu bei, die Einschlafzeit zu verkürzen und es trägt zur Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung bei.

Im Allgemeinen besitzt Melatonin eine einschläfernde und beruhigende Wirkung. Dabei wird die Produktion von Melatonin im Gehirn bei beginnender Dunkelheit und vermindertem bläulichen Tageslicht angeregt. Im Laufe der Nacht steigt die Melatonin-Konzentration dann um rund 300 Prozent an, erreicht in der Tiefschlafphase um 3 Uhr morgens ihr Maximum und fällt in Abhängigkeit von der morgendlichen Dämmerung langsam wieder ab. Allerdings nimmt mit zunehmendem Alter die Ausschüttung von Melatonin sukzessive ab. Häufige Folgen hiervon sind altersbedingte Ein- und Durchschlafstörungen.

Da der erwachsene Mensch im Schnitt  täglich zwischen 0,1 mg und 0,9 mg Melatonin produziert, wird dieser Bereich als physiologische Dosis bezeichnet. Mengen, die über diesem Bereich liegen, werden als pharmakologische Dosen bezeichnet. Bei Einschlafstörungen beträgt die empfohlene Tagesdosis von Melatonin meist zwischen 0,5 bis 2 mg, bei Jetlag für 2 bis 5 Tage nach der Ankunft. Melatonin sollte dreißig bis sechzig Minuten vor dem Schlafengehen eingenommen werden; einige Studien haben jedoch gezeigt, dass es bis zu vier Stunden vorher eingenommen werden kann und wirksam ist. Eine Dosierung von 0,5 mg Melatonin erzielt Blutwerte, die denen von jungen Menschen ähneln. Dosierungen im Bereich von 2 – 5 mg erzielen Höchstwerte, die 10-fach oder 100-fach über denen von jungen Menschen liegen können. Bei Schlafstörungen ist eine Dosis von 0,5 – 1 mg daher absolut ausreichend. Dies imitiert den physiologischen zirkadianen Rhythmus von Melatonin und vermeidet einen lang anhaltenden Blutspiegel über physiologischem Niveau.

Abgesehen vom Alter kann die Melatoninproduktion auch durch Krankheiten, Ernährung, Umweltfaktoren wie helles Licht in der Nacht, Medikamenteneinnahme und Lebensstil beeinflusst werden. In der heutigen Zeit sind vor allem Menschen von einem Melatonin-Ungleichgewicht betroffen, die unter Jetlag leiden, in Schichten arbeiten, nachts häufig künstliches Licht nutzen (z. B. durch Handys, Computer oder LED-Beleuchtung), oder deren innerer Tag-Nacht-Rhythmus durch Umwelt- oder jahreszeitliche Veränderungen gestört wird.

Mechanismen im Zusammenhang mit Alterung und Krankheit: Antioxidative Abwehr, Reduzierung von oxidativem Stress und entzündungshemmende Eigenschaften

Zahlreiche Studien haben die in den letzten Jahrzehnten gewonnenen Erkenntnisse über die Rolle von Melatonin bei der antioxidativen Abwehr, der Verringerung von oxidativem Stress und bei entzündungshemmenden Prozessen untermauert. Melatonin ist ein hocheffizientes Antioxidans – ein einziges Melatoninmolekül kann mehrere (~10) reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies durch einen Kaskadenmechanismus abfangen. Darüber hinaus hat Melatonin die doppelte Fähigkeit, auf rezeptorunabhängige und rezeptorabhängige Prozesse einzuwirken. Diesen Studien zufolge besitzt Melatonin die Fähigkeit, entzündungsfördernde Prozesse zu blockieren, die auf die Cyclooxygenase (COX-2) einwirken, und den programmierten Zelltod (Apoptose) in abnormen Zellen zu fördern, was es theoretisch zu einem wünschenswerten Therapeutikum bei Alterskrankheiten („inflammaging“) wie Krebs machen würde. Die doppelte Wirkung von Melatonin kann pro-oxidative Enzyme (z. B. Xanthinoxidase) hemmen und gleichzeitig die kritischen antioxidativen Enzyme wie Superoxiddismutase (SOD), Glutathionperoxidase (GPX) und Katalase (CAT) verstärken, was zu einem besseren Schutz der Zellen führt und die Immunabwehr und die metabolischen Entgiftung des Körpers unterstützt.

Insgesamt steht die altersbedingte Abnahme der endogenen Melatoninproduktion in Zusammenhang mit Krankheiten und Funktionsstörungen. In-vitro- und In-vivo-Studien belegen die schützende Wirkung von Melatonin gegen mitochondrienbedingte Schäden bei Bluthochdruck und Fettleibigkeit, was darauf hindeutet, dass die zusätzliche Ergänzung von Melatonin in späteren Jahren eine wirksame therapeutische Maßnahme bei solchen altersbedingten Erkrankungen sein könnte.

Melatonin und Immunsystem

Da Melatonin an der Steuerung des zirkadianen Rhythmus beteiligt ist, reguliert es auch die Ausschüttung weiterer Hormone und steuert damit lebensnotwendige Körperfunktionen. So besteht auch eine Beziehung zwischen Melatonin und dem Immunsystem. Dies beruht auf der fast ubiquitären Verteilung von Melatoninrezeptoren auf die Immunzellen und ihre Synthese durch das Immunsystem. Über kombinierte Mechanismen, die hauptsächlich die Modulation von Zytokinen und die Produktion von oxidativem Stress beinhalten, beeinflusst Melatonin sowohl die angeborenen als auch auf die spezifischen Reaktionen des Immunsystems. Zudem wirkt Melatonin auch stark entzündungshemmend. Es hilft, einen Teil der Schäden zu verhindern oder rückgängig zu machen, die entstehen, wenn das Immunsystem das eigene Gewebe angreift. Insgesamt könnte Melatonin unter basalen oder immunsupprimierten Bedingungen als Immunstimulans wirken und einen voraktivierten Zustand für eine effektivere frühe Immunantwort gegen externe Stressoren wie Viren und Parasiten bereitstellen.

Im Zusammenhang mit COVID-19 spielen vor allem die antientzündlichen Eigenschaften von Melatonin eine wichtige Rolle. Die Infektion mit dem Corona Virus und ihre Replikation führt zur Entstehung von Oxidationsprodukten und oxidativem Stress in den betroffenen Zellen. Zudem kommt es zu einer stark erhöhten Konzentration entzündungsfördernder Zytokine (Zytokinstürme). Melatonin reduziert die Bildung proinflammatorischer Zytokine und wirkt über Sirtuin-1 (SIRT1) einer Polarisierung der Makrophagen in Richtung einer Proinflammation entgegen. Zudem führt Melatonin zu einer Unterdrückung der Aktivierung von NF-κB bei ARDS und reguliert die NF-κB-Aktivierung in den T-Zellen und im Lungengewebe herab. Die stark antioxidativen Eigenschaften führen zu einer erhöhten Produktion antioxidativer (z. B. Superoxid-Dismutase) und einer Hemmung von prooxidativen Enzymen. Daher könnte Melatonin bei der Behandlung von COVID-19-induzierten Lungenentzündungen, ALI (akuten Lungenschäden) oder ARDS (akuten Atemnotsyndrom) einen hohen adjuvanten Nutzen haben.

Melatonin und Mitochondrien

Neuere Daten deuten darauf hin, dass die Mitochondrien für mehrere Aspekte des Melatonins von zentraler Bedeutung sind – so nehmen Mitochondrien Einfluss auf die Produktion, den Stoffwechsel und über die Aktivität der Rezeptoren. Anstatt auf die Signale des Licht-Dunkel-Zyklus oder der Zirbeldrüse zu reagieren, können Mitochondrien die Produktion von Melatonin auf der Grundlage des intrazellulären Bedarfs auslösen. Es ist bekannt, dass der Melatoninspiegel in den Mitochondrien höher ist als im Blut, was höchstwahrscheinlich auf den höheren Bedarf an Antioxidantien zurückzuführen ist, da durch die Elektronentransportkette große Mengen an freien Radikalen entstehen. Melatonin unterstützt das mitochondriale Redox-Gleichgewicht durch seine Fähigkeit, das Superoxid-Anionen-Molekül aus der Elektronentransportkette zu reduzieren und freie Radikale direkt abzufangen. Zusätzlich zu diesen Funktionen fördert Melatonin die Funktion der Mitochondrien, indem es gesunde körpereigene Spiegel von antioxidativen Abwehrenzymen wie Superoxiddismutase anregt. Eine mitochondriale Dysfunktion ist einer der Mechanismen, die mit Alterskrankheiten in Verbindung stehen.

Mit zunehmendem Alter sinkt der Melatoninspiegel, wodurch der Schutz der Mitochondrien vor oxidativem Stress nachlässt. Dies könnte zu frühen Veränderungen im Körper führen, die schließlich klinische Symptome münden. Ein Teil dieses altersbedingten Rückgangs könnte durch die Einnahme von Melatonin und die Unterstützung der natürlichen Regeneration ausgeglichen werden.

Energieregulierung und Stressreaktion

Auch die psychische Gesundheit, insbesondere bei Depressionen, wird mit dem Melatoninspiegel in Verbindung gebracht. Es ist bekannt, dass niedrige Serotoninwerte mit klinischen Depressionen einhergehen, aber auch niedrige Melatoninwerte scheinen einen bedeutenden Zusammenhang zu haben. Melatonin wird aus Serotonin unter Verwendung von 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) und Tryptophan gewonnen. Tryptophan ist in erster Linie am Melatonin-Serotonin-Weg und am Kynurenin-Weg beteiligt. Auf den Melatonin-Serotonin-Weg entfallen etwa fünf Prozent des Tryptophanabbaus über die Nahrung, während der kynurenische Weg für etwa 95 Prozent des Tryptophanabbaus über die Nahrung verantwortlich ist. Der kynurenische Weg ist ein wesentlicher Prozess, der für die Umwandlung von Tryptophan in Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid (NAD+) zur Gewinnung von Zellenergie erforderlich ist. Obwohl die beiden Tryptophanwege an unterschiedlichen Prozessen beteiligt sind, geht man davon aus, dass der eine Weg den anderen beeinflusst. Es hat sich gezeigt, dass körperliche Betätigung den Durchsatz im Serotonin-Melatonin-Stoffwechselweg erhöht, was zu einem Anstieg der Serotonin- und Melatoninspiegel führt und sich auf die Stimmung und die Kognition auswirkt. Umgekehrt wurde festgestellt, dass akute oder chronische Entzündungen und Stress den Durchsatz des Kynurenin-Stoffwechsels erhöhen, was zu einem Anstieg der Umwandlung von Tryptophan in Kynurenin führt. Kynurenin ist ein Nebenprodukt oder Metabolit, das bei der Umwandlung von Tryptophan in Niacin entsteht. Hohe Kynurenin-Konzentrationen im Gehirn treten bei Depressionen auf.

Melatonin und Darm

Zwei Arten von Zellen sind für die Produktion von Melatonin verantwortlich: die Pinealozyten und die enterochromaffinen Zellen. Die Pinealozyten befinden sich in der Zirbeldrüse im Gehirn, enterochromaffine-Zellen befinden sich auf der Oberfläche des gesamten Magen-Darm-Trakts, mit hohen Konzentrationen in der Schleimhaut des Magen-Darm-Trakts. Die Pinealozyten werden durch Licht und Dunkelheit beeinflusst. Allerdings schätzt man, dass die enterochromaffinen Zellen im Darm die 400-fache Menge an Melatonin enthalten, die von den Pinealozyten produziert wird. Der Melatoningehalt im Darm kann 10 bis 100 Mal höher sein als der Melatoningehalt im Blutserum.

Im Gegensatz zu den Pinealozyten werden die enterochromaffinen Zellen nicht durch Licht und Dunkelheit reguliert, sondern scheinen durch Nahrungsaufnahme und Verdauung beeinflusst zu werden. Es bleibt spekulativ, wie das von der Zirbeldrüse produzierte und das aus dem Darm stammende Melatonin zusammenhängen. Generell wirkt die Freisetzung von Melatonin im Darm parakrin, erhöht die Aktivität und Durchblutung der Magenschleimhaut und verbessert die GI-Motilität. Darüber hinaus hat Melatonin anti-erregende Eigenschaften im Darm. Es kann die Regeneration von Epithelzellen stimulieren und hat nachweislich schützende antioxidative Wirkungen auf die Auskleidung des Magen-Darm-Trakts.

Praxis-Tipp zur Wintermüdigkeit: Im Winter treten häufig Veränderungen im Melatonin-Haushalt auf, da der Hormonspiegel durch die wenigen Sonnenstunden bereits tagsüber steigen kann. Dies stört die innere Uhr und kann zu Schlafstörungen, Müdigkeit und Winterdepressionen führen. Deshalb sollte man unbedingt die wenigen Stunden Tageslicht nutzen, um das Schlafhormon im natürlichen Gleichgewicht zu halten. Bereits ein Spaziergang zu Mittag reicht aus, um die Serotonin-Produktion zu steigern und die Ausschüttung von Melatonin tagsüber zu hemmen.

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